Wie ist es Aktmodell zu sein?

illustrations illustrations illustrations illustrations illustrations illustrations

Wie ist es Aktmodell zu sein?

Erstellt am 15.02.2020

Im rechten Bein fängt es langsam wieder an zu krampfen. Aus irgendeinem Grund ist die rechte Wade heute schnell beleidigt, aber eigentlich hat sie dafür so gar keinen Grund, finde ich. Und an der linken Seite des Brustkorbes fühle ich einen ersten Schweisstropfen langsam den Körper herunterrollen. Die Stille des Raumes wird nur durch die Geräusche vom Zeichnen auf Papier durchbrochen.

Ich stehe in der Kunstakademie unbekleidet auf einem Podest. Neben mir steht ein Infrarotstrahler, der das Stehen auf dem Podest trotzdem angenehm werden lässt. Es ist Dezember und der Raum ist nicht unbedingt so warm, als dass man sich komplett ausziehen müsste. Um mich herum zeichnen Studentinnen und Studenten konzentriert an ihren Staffeleien.

Denn heute bin ich das Aktmodell und die Pose, in der ich stehe, fängt an anstrengender zu werden. Dabei habe ich sie mir selbst ausgesucht und war eigentlich der Meinung, dass neben dem Ausdruck die Position eigentlich nicht so schwierig sein könne. Selbst schuld. Aber das Krampfen und das leichte Brennen verhält sich mit der Zeit eher so wellenförmig und man arrangiert sich mit der Situation. Die restliche Zeit bis zum Wechsel der Position halte ich dann mit ein wenig Konzentration trotzdem durch. Ein wenig Anstrengung gehört zum Akt Stehen eben auch dazu. Im schlimmsten Fall hilft es das schmerzende Bein einmal kurz zu bewegen und die ursprüngliche Haltungen wieder einzunehmen.

Je nach Situation dauern die einzelnen Posen von 5 Minuten bis zu knapp einer Stunde. Die Kürzeren bieten dann die Möglichkeit mehr Dynamik in die Pose zu bekommen. Stellungen mit längeren Haltedauern sind dafür dann etwas bequemer, beziehungsweise nicht so anstrengend für das Modell. Denn mehr als 10 oder 15 Minuten eine Hand auszustrecken, oder auf dem Standbein zu balancieren wird dann schnell schmerzhaft.

Beim Einnehmen der Pose war ich immer sehr dankbar, wenn die Dozentin oder der Dozent mich mit Hinweisen unterstützt haben. Vor allem am Anfang hat mich der erfahrene Rat vor all zu viel Ambition bewahrt. Und trotzdem suche ich schon auch die Herausforderung, so ein wenig Ziepen in den Muskeln gehört dann für mich schon auch zum Geschäft.

Heidi ein sehr erfahrenes Modell, das schon mehr als 15 Jahre in der Szene unterwegs ist, hatte mir den guten Tipp gegeben, auf die Haltungen zu achten. Denn sonst wird aus dem Modelllohn schnell ein Schmerzensgeld. Diese eigene Erfahrungen, was alles leistbar ist, muss man allerdings selbst machen. Ich probiere, wenn es die Umgebung ermöglicht, auch gerne mal etwas Neues aus. So erfahre ich welche Haltungen weniger günstig sind und wie man seine Pose unterstützen kann.

Während die Künstlerinnen und Künstler zeichnen, habe ich vor allem bei den längeren Positionen dann Zeit für mich. Die nutze ich um über die Dinge des Alltags nachzudenken oder die Ruhe zu genießen und zu entschleunigen. Bei kürzeren Stellungen bin ich meist im Gedanken schon bei der nächsten Pose. Sitzend, liegend oder stehend? Gerne nutze ich dafür auch die Möglichkeit zur Interaktion mit den Beteiligen, um deren Wünsche und Anregungen mit zu berücksichtigen. So entsteht eine wunderbare Zusammenarbeit in einem vertrauten und geschützten Raum.

Wenn man dann ein Haltung einnimmt, suche ich mir immer eine Fixpunkt im Raum, der mich dabei unterstützt, diese zu halten und damit ich mich nicht bewege. Dabei lenke ich den Blick irgendwo in den Raum, um keinem direkt in die Augen zu sehen. Ich möchte ja keinen ablenken oder verunsichern. Trotzdem gelingt es mir manchmal die Entstehung der Zeichnungen mit zu verfolgen, was total spannend und interessant ist. Jeder zeichnet auf seine eigene Weise, die Techniken und eingesetzten Materialien unterscheiden sich. Von Bleistift über Kohle bis hin zu Acryl und Öl ist quasi alles vertreten.

In den Pausen nutze ich so oft es geht die Möglichkeiten die entstandenen Werke einmal anzuschauen. Mache zeigen ihre Zeichnungen gerne, andere möchten es nicht - und das respektiere ich. Die Werke sind dabei ganz unterschiedlich. Schnelle Skizzen oder sehr detaillierte Zeichnungen, sichere Techniken oder einfach ein paar schnelle Versuche wie eine Technik funktioniert. Zeichnungen, die den ganzen Körper einfangen oder nur Porträts oder Studien von Händen, alles ist zu finden. Was aber für mich in allen Werken zu erkennen ist, ist die Energie und Schaffenskraft welche hineingesteckt wurde. Und für mich immer wieder dieses “Wow, das bin ich, toll!” Dabei ist es nicht immer die perfekte Proportion oder die Feinheit von Details die überrascht, sondern auch das Spiel der Farben, der Ausdruck der Zeichnung, die so schön reduziert auf das Blatt gebracht wurde.

Als Modell ist es für mich eine sehr schöne Rückmeldung, wenn ich die Zeichnungen betrachten und teilweise sogar fotografieren darf. Und so passiert es manchmal, wenn ich in meiner Fotogalerie stöbere, dass ich mich nicht nur an den entstandenen Bildern erfreue sondern mich auch an die schöne, energiereiche, gemeinsame Zeit zurück erinnere.

Was aber immer nach einem Aktkurs für mich zurück bleibt, ist der respektvolle Umgang, die große Freundlichkeit der Dozenten und Teilnehmer, wenn man als Modell eine Zeichenstunde mit gestalten darf. Das alles macht für mich den Unterschied, ob man nackt im Sinne von verletzlich, oder ob man nackt im Sinne von unbekleidet ist.